Newsletter 05/2016
OGH-Urteil: Haften Ärzte bei Verabreichung falsch gemischter Medikamente?
Ein aufsehenerregendes Urteil fällte der Oberste Gerichtshof (OGH) bezüglich Ärztehaftung bei Verabreichung falsch gemischter Medikamente.
Im Jahr 2014 ging eine Patientin zum HNO-Arzt. Eigentlich sollte für die Behandlung eine mit destilliertem Wasser hergestellte Pantocain-Lösung als Oberflächenanästhetikum verwendet werden. Stattdessen war das Mittel von der Apotheke irrtümlicherweise mit 96% Alkohol hergestellt worden. Die Patientin erlitt Verätzungen der Nasenschleimhaut. Der behandelnde Arzt wähnte sich schuldlos, denn auf der Flasche stand groß „2% PANTOCAIN LÖSUNG“. Einen klein gedruckten Zusatzhinweis, dass es sich um eine Lösung mit Alkohol in hoher Konzentration handelte, hatte der Arzt nicht gelesen. Zweifellos lag ein Fehler der Apotheke bei der Herstellung der Arznei vor – doch kann dafür auch der Arzt haftbar gemacht werden?
Das musste gerichtlich geklärt werden, denn die Patientin brachte eine Klage ein. Der Vorwurf lautete auf fahrlässiges Handeln des Arztes, weil er nicht genau auf das auf der Flasche angebrachte Etikett geachtet habe. Sie forderte insgesamt knapp 24.000 EUR an Schmerzengeld und Refundierung von Heilungskosten sowie Barauslagen. Gegenargument des Arztes: Er habe sich aufgrund von Erfahrungswerten auf die in den letzten fünf Jahren stets korrekte Rezeptur auch in diesem Fall verlassen können.
Das Ergebnis:
In den ersten beiden Instanzen scheiterte die Patientin mit ihrem Anspruch. Der OGH hingegen wandelte das Urteil in 4 Ob 42/16d ab und sprach aus, welche Anforderungen an den Arzt bei der Verwendung von individuell zubereiteten Medikamenten bestehen. Demnach bedeute es „keine Überspannung des gebotenen Sorgfaltsmaßstabs, wenn der Arzt die ihm auf der Arzneiflasche zur Verfügung stehenden Informationen vor dem Einsatz der Arznei überprüft“. Im vorliegendem Fall hätte den Arzt nichts daran gehindert, einen genaueren Blick auf die Etikettierung zu werfen, bevor er die Arznei verabreichte.
Der Arzt und seine Haftpflichtversicherung haften also lt. OGH-Urteil für die Folgen der Verätzung! Ein Facharzt müsse jedenfalls vor der erstmaligen Anwendung eines Mittels prüfen, ob der Inhalt seiner Verschreibung entspricht, so die Begründung. Gerade bei magistralen Zubereitungen dürfe er sich nicht „blind“ darauf verlassen, dass seiner Vorschreibung entsprochen wurde.
Absolute Indikation: Haftung absichern
Für den Moment ist die ärztliche Haftung in diesem Fall also bestätigt. Was letztlich im immer individuellen Haftungsfall vor rechtlichen und finanziellen Folgen wirklich schützt, ist eine hochwertige Arzt-Haftpflichtversicherung mit ausreichend hoher Versicherungssumme. Zu warnen ist dabei vor der Wahrnehmung eines „Ausnahmefalls“: Denn zum einen ist auch ein scheinbar spektakulärer Einzelfall für den Betroffenen in seinen Auswirkungen genauso real wie ein häufigerer Sachverhalt. Zum anderen handelt es sich oft gar nicht um Ausreißerfälle, sondern werden nur nach wie vor die allermeisten Schadenersatzleistungen aus ärztlicher Haftung außergerichtlich und somit ohne Öffentlichkeit erbracht. Entsprechende Vorsorge ist daher aus unserer Expertenerfahrung weit stärker indiziert, als es die - ohnehin schon massiv gestiegene - Publizität des Arzthaftungsthemas nahelegen würde.
Hinsichtlich der Höhe des Schadenersatzes hat der OGH übrigens nicht entschieden, sondern diesen Aspekt an die Unterinstanzen zurückverwiesen. Ungeachtet der konkreten Höhe ist im vorliegenden Fall zu erwarten, dass der Haftpflichtversicherer des Arztes einen Regressversuch beim Apotheker unternehmen wird.
Um allenfalls eine Optimierung Ihres Haftpflichtschutzes zu erörtern, wenden Sie sich bitte an Ihren ARGE MED-Berater.
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