ARGE MED-Newsletter 12/2016
Strafverfolgung gegen operierenden Chirurgen nach Tod des Neuberger Bürgermeisters
Nach dem Tod des Neuberger Bürgermeisters während einer Blinddarm-OP droht dem Chirurgen jetzt die strafrechtliche Verurteilung wegen grob fahrlässiger Tötung. Ihm wird vorgeworfen, die notwendigen Schritte zur Rettung des Patienten zu spät gesetzt zu haben.
Es handelt sich grundsätzlich um ein Standardprocedere: bei „mors in tabula“ werden automatisch strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen – in diesem Fall wegen des Verdachts auf grob fahrlässige Tötung. Der Arzt wurde in der Folge aber auch strafrechtlich angeklagt und ein Gutachter bestellt. Der ORF-Beitrag zeigt, wie dramatisch sich derartige Strafverhandlungen entwickeln können: Der Gutachter ändert seine Aussage vor Gericht, die Strafverfolgung gegen den Operateur wird dennoch – nun aufgrund verspäteter anstelle falscher Behandlung – fortgesetzt!
Von Interesse ist dieser Fall insbesondere deshalb, weil er wahrscheinlich den ersten Anwendungsfall der seit 1.1.2016 novellierten Form des § 81 Strafgesetzbuch (StGB) in Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit zur Anklage gebracht wurde. Bis zum 1.1.2016 kam als qualifiziertes Delikt zur „fahrlässigen Tötung“ (§ 80 StGB, Strafdrohung bis 1 Jahr) insbesondere die „fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen“ (§81 StGB, aktuelle Fassung, Strafdrohung bis 3 Jahre) in Frage.
Zur Verwirklichung des Tatbestandes mussten früher kumulativ sowohl „Fahrlässigkeit“ (also Sorgfaltswidrigkeit) als auch „besonders gefährliche Verhältnisse“ vorliegen. Dem angeklagten Arzt kamen im vorliegenden Fall Rechtsprechung und Lehre zugute. Denn das Gericht sieht bei an sich schon gesteigert gefährlichem Verhalten – wie etwa Operationen – besonders gefährliche Verhältnisse nur dann als gegeben, wenn zusätzlich weitere Komponenten hinzukommen, die die Schadenswahrscheinlichkeit weiter erhöhen. In der Praxis musste die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang oft durch umfangreiche Sachverständigengutachten das Vorliegen gefährlicher Umstände im oben dargestellten Sinne nachweisen. Gleichzeitig genügte auch auffallende und ungewöhnliche Sorglosigkeit alleine nicht für die Anwendung des §81 und damit des erhöhten Strafrahmens, wenn keine besonders gefährlichen Verhältnisse vorlagen. Im Ergebnis war dieser Strafrechtsparagraph für Ärzte faktisch totes Recht.
Durch die Novellierung ist für Fälle seit dem 1.1.2016 das Erfordernis des Nachweises besonders gefährlicher Verhältnisse weggefallen. Für den erhöhten Strafrahmen genügt jetzt allein grobe Fahrlässigkeit. Durch die Übertragbarkeit des zivilrechtlichen Begriffs der groben Fahrlässigkeit ins Strafrecht (§6 StGB) soll gemäß den parlamentarischen Materialien nicht nur eine einfachere Anwendbarkeit des §81 gegeben sein, sondern auch eine „Erleichterung der Führung von Folgeprozessen vor den Zivilgerichten“ (!) erreicht werden.
ARGE MED hatte angesichts der Gesetzesnovelle über die voraussichtlich nachteiligen Auswirkungen der neuen Strafrechtsbestimmungen für die Ärzteschaft berichtet. Dieser erste Fall scheint die damaligen Annahmen unserer Experten zu bestätigen.
FAZIT: Es handelt sich um ein etwas sperriges und im Detail unzugängliches Thema, das allerdings im Sinne der persönlichen Vorsorge nicht völlig ignoriert werden sollte. Das strafrechtliche Haftungsrisiko des Arztes ist in den letzten zehn Jahren aus einer Randbedrohung ins Zentrum des Absicherungsbedarfs von Ärzten und Zahnärzten gerückt. Ein umfassender und mit einem Ärztespezialisten hergestellter Spezial-Strafrechtsschutz ist kostengünstig und unbedingt zu empfehlen.
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